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Die Obliegenheits­verletzung – Welche Folgen kann sie haben?

Obliegenheitsverletzung wird beim Schreibtisch von zwei Männern besprochen

Ein wichtiger Rechtsbegriff aus dem Versicherungswesen ist Obliegenheitsverletzung. Dabei versteht man unter einer Obliegenheit eine „Verpflichtung minderer Art“. Hierbei bedeutet dies, dass man jemanden, der eine Obliegenheit einhalten muss, nicht mit rechtlichen Schritten dazu zwingen kann, wohingegen eine Obliegenheitsverletzung durchaus rechtliche Nachteile für ihn hat. 

In diesem Beitrag wollen wir alles Wichtige zur Obliegenheitsverletzung zusammentragen und dabei auch häufige Fragen beantworten, wie z. B. Was versteht man unter Obliegenheitsverletzung? Was ist eine Obliegenheitspflicht? Welche Obliegenheiten gibt es? Was sind Obliegenheiten Versicherung?

Inhaltsverzeichnis

Das Wichtigste in Kürze:

Welche Bedeutung haben Obliegenheiten und Obliegenheits­verletzung im Versicherungswesen?

Obliegenheiten eines Versicherungsnehmers nach dem VersVG bzw. den jeweiligen Allgemeinen Versicherungsbedingungen sind ein wichtiger Teil eines jeden Versicherungsvertrages. Allerdings kann auch hier der Versicherer die Erfüllung der Obliegenheit nicht rechtlich durchsetzen.

Generell ist eine Obliegenheit als Pflicht eines Schuldverhältnisses anzusehen, welche vom Gläubiger nicht eingeklagt werden können. Für den Fall, dass der Schuldner diese Pflichten verletzt, so kann er auch nicht seitens des Gläubigers regresspflichtig gemacht werden. 

Dabei hat der Gläubiger dann keinen Anspruch auf Schadensersatzleistungen. Jedoch muss der Schuldner allerdings im Falle einer Pflichtverletzung seinerseits damit rechnen, dass er bestehende Rechte verliert beziehungsweise diese nicht mehr geltend machen kann. 

Hierbei kann sich ein Versicherer evtl. von seiner Leistung befreien, wenn der Versicherungsnehmer eine Obliegenheitsverletzung begeht und ihm dabei ein Verschulden vorzuwerfen ist. Deshalb besteht der rechtliche Nachteil aus der Obliegenheitsverletzung darin, dass der Versicherungsnehmer kein Geld bekommt. Dabei können Obliegenheiten je nach Versicherung unterschiedlich sein.

Typische Obliegenheits­verletzung Beispiele bei Versicherungen

Obliegenheitsverletzungen sind häufiger Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten vor Gericht. Dabei geht es im Rahmen von Leistungen oftmals um Details, die einer klaren Beweisführung bedürfen.

Hierbei gehört zu den wichtigen Obliegenheiten bei der Einbruchsdiebstahlversicherung z. B. die Versicherungsräumlichkeiten zu versperren. 

Dabei kann auch ein leicht erreichbares, gekipptes Fenster bereits eine grobe Fahrlässigkeit und eine echte Obliegenheitsverletzung darstellen. Ferner gehört es in der Kfz-Kasko- sowie in der Kfz-Haftpflichtversicherung zu den wichtigsten Obliegenheiten, bei der Aufklärung eines selbst verursachten Unfalles mitzuwirken, wenn nicht nur das eigene Fahrzeug beschädigt wurde. 

Dabei darf man also die Unfallstelle nicht verlassen und muss die Polizei verständigen. Hierbei handelt es sich nicht bloß um eine Formalvorschrift, wodurch die Nichtverständigung der Polizei nicht automatisch zur Leistungsfreiheit führt. 

Deshalb liegt nach dieser Regelung eine zur Leistungsfreiheit führende Obliegenheitsverletzung Kfz nur dann vor, wenn ein Verdacht besteht, dass die Nichtverständigung der Polizei dazu diente, die spätere Aufklärung zu verhindern, also quasi Beweismittel zu beseitigen.

Obliegenheitsfälle nach dem Versicherungsrecht

Für den Versicherer sind die Obliegenheiten vertragliche Pflichten des Versicherungsnehmers, die er einhalten muss, damit die Versicherung das zu versichernde Risiko kalkulieren kann. Dabei unterscheidet das Versicherungsrecht bei den Obliegenheiten zwischen Obliegenheiten nach Vertragsschluss und den Obliegenheiten im Schadensfall.

Obliegenheiten des Versicherten nach Vertragsschluss

Als Obliegenheiten nach Vertragsschluss werden all jene Pflichten verstanden, welche ein Versicherungsnehmer generell zu erfüllen hat, unabhängig davon, ob ein Schadenfall eintritt der nicht. 

Dabei gilt als oberste Obliegenheit eines Versicherungsnehmers die Pflicht, die Gegebenheiten, welche bei Vertragsschluss bestanden haben, nicht nachhaltig zu verändern. Hierbei bezieht sich diese Gefahrstandspflicht insbesondere auf die Risikoverhältnisse. 

Deshalb darf ein Versicherer nach Vertragsschluss entweder keine Gefahrenerhöhung vornehmen, oder muss diese, wenn sie nicht vermeidbar ist, unverzüglich seinem Versicherer melden. Dabei ist eine gängige Gefahrenerhöhung und damit Obliegenheitsverletzung Kfz z. B. das Fahren mit abgefahrenen Reifen.

Befreiung von der Leistungspflicht bei Obliegenheits­verletzung

Ferner wird die Obliegenheit nach Vertragsschluss häufig auch als Obliegenheit vor dem Versicherungsfall bezeichnet. Dabei kann in den Versicherungsverträgen eine Befreiung des Versicherers von der Leistungspflicht bei einer Obliegenheitsverletzung vor dem Versicherungsfall vereinbart werden. 

Allerdings ist diese Vereinbarung zur Leistungsfreiheit nur in dem Falle gültig, in dem der Versicherungsnehmer die Obliegenheitsverletzung selbst verschuldet hat. Für den Fall, dass diese Obliegenheitsverletzung vom Versicherten unverschuldet eingetreten ist, hat eine Versicherung die Leistungspflicht zu erfüllen.

Kündigung des Vertrages bei einer Obliegenheits­verletzung nach Vertragsabschluss

Wenn ein Versicherer feststellt, dass eine Obliegenheitsverletzung vor dem Versicherungsfall besteht, hat er das Recht, den Versicherungsvertrag binnen eines Monats nach Kenntnisnahme der Pflichtverletzung zu kündigen. 

Dabei ist eine Kündigungsfrist nicht zu beachten. Für den Fall jedoch, dass sich der Versicherer nicht an diese einmonatige Grenze hält und erst später kündigt, kann er sich bei einem Schadeneintritt nicht auf seine Leistungsfreiheit berufen. 

Dabei ist allerdings auch wieder zu beachten, dass das Kündigungsrecht seitens des Versicherers nur dann besteht, wenn die keine unverschuldete Obliegenheitsverletzung durch den Versicherungsnehmer vorliegt.

Obliegenheiten des Versicherten im Schadensfall

Für den Fall, dass ein Schaden eintritt, hat der Versicherungsnehmer andere Obliegenheiten zu erfüllen. Hierbei hat er in jedem Fall eine Anzeigepflicht, eine Informationspflicht und auch eine Schadensbegrenzungspflicht.

Anzeigepflicht und Informationspflicht

Dabei hat ein Versicherungsnehmer im Schadensfall seinen Versicherer unverzüglich darüber zu informieren. Für den Fall einer verspäteten Meldung, ist der Versicherer nicht mehr zu einer Leistung verpflichtet, denn es liegt eine Obliegenheitsverletzung im Schadensfall vor. 

Hierbei hat der Versicherungsnehmer nicht nur die Pflicht, den Schaden zu melden, sondern er muss auch den Hergang des Schadeneintritts beschreiben und mitteilen, in welcher Höhe dieser festzulegen sind. Dabei muss er ggf. hierfür ein Gutachten erstellen lassen.

Ferner zählt immer auch zur Anzeigepflicht das korrekte und wahrheitsgemäße Ausfüllen eines Schadensfragebogens sowie das Einreichen von korrekten Rechnungen. Hierbei kann bereits das Einreichen einer einzigen falschen Rechnung zum Verlust des gesamten Versicherungsschutzes führen.

Schadens­begrenzungspflicht

Außerdem ist auch die Pflicht zur Schadenbegrenzung sowie zur Schadensminderung von großer Bedeutung. Dabei bedeutet dies z. B., dass sich ein Versicherungsnehmer im Falle eines Verkehrsunfalls nicht vom Unfallort entfernen darf. 

Für den Fall, dass er dies trotzdem tut, muss der Versicherer nicht für entstandene Schäden zahlen. Allerdings bestehen jedoch in jenen Fällen Ausnahmen, in denen die Interessen des Versicherers dadurch nicht ernsthaft gefährdet werden.

Zusammenfassung der Rechtsfolgen einer Obliegenheits­verletzung im Schadensfall

Obliegenheitsverletzungen führen im Versicherungsrecht zu weitgehenden Rechtsfolgen:

  • Außerordentliches Kündigungsrecht des Vertrages innerhalb eines Monats bei nicht schuldhafter Obliegenheitsverletzung und bei unbeabsichtigter Gefahrerhöhung
  • Fristlose Vertragskündigung bei schuldhafter und mutwilliger Gefahrerhöhung und Leistungsfreiheit des Versicherers
  • Leistungsfreiheit immer, wenn eine Obliegenheitsverletzung Versicherung vorsätzlich erfolgt ist. Für den Fall, dass sie grob fahrlässig verursacht wurde, tritt Leistungsfreiheit nur ein, wenn die Obliegenheitsverletzung Einfluss auf Entstehung und Umfang des Schadens hatte.
  • Leistungsfreiheit, wenn die unverzügliche Anzeige versäumt wird und ein Schaden später als einen Monat nach dem Datum eintritt, zu dem eine Anzeige den Versicherer hätte erreichen können. Dabei gilt dies jedoch nur, wenn die Obliegenheitsverletzung Einfluss auf den Eintritt und die Höhe des Schadens hatte.
  • Recht auf eine reguläre Vertragskündigung

Prämienerhöhung oder Leistungsausschluss als Alternative

Anstelle einer Vertragskündigung kann der Versicherer ihn auch zu veränderten Bedingungen fortführen. Dabei hat er die Wahl zwischen einer Erhöhung der Versicherungsprämie und einem Risikoausschluss. 

Für den Fall jedoch, dass sich die Prämie als Folge der Gefahrenerhöhung um mehr als 10 Prozent erhöht oder der Versicherer die Absicherung der höheren Gefahr ausschließt, kann der Versicherungsnehmer den Vertrag innerhalb eines Monats kündigen. 

Dabei ist der Versicherer verpflichtet, den Versicherungsnehmer in einer Mitteilung auf dieses Recht hinzuweisen.

Die Leistungsfreiheit des Versicherers bei einer Obliegenheits­verletzung

Die Leistungsfreiheit des Versicherers ist eine mögliche Konsequenz von Obliegenheitsverletzungen vor oder nach Eintritt des Versicherungsfalls. Dabei muss dem Versicherungsnehmer jedoch entweder Vorsatz oder zumindest eine grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden. 

Außerdem kann diese Rechtsfolge nur dann eintreten, wenn sie ausdrücklich mit den allgemeinen Versicherungsbedingungen vereinbart wurde. Deshalb tritt die Leistungsfreiheit tritt bei einer Obliegenheitsverletzung nicht von selbst ein und das Versicherungsunternehmen muss sie entsprechend geltend machen. 

Für den Fall, dass es sich bei der Obliegenheitsverletzung um eine leichte Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers handelt, muss der Versicherer zahlen und kann sich nicht auf Leistungsfreiheit berufen. 

Allerdings hat der Versicherungsnehmer die Obliegenheitsverletzung Beweislast, dass er nicht grob fahrlässig, sondern nur leicht fahrlässig gehandelt hat oder dass er vollkommen schuldlos ist.

Grundsatz der Kausalität bei der Obliegenheits­verletzung

Für den Fall, dass ein Versicherungsfall auch ohne die Obliegenheitsverletzung eingetreten wäre, muss der Versicherer trotzdem zahlen. Hierbei gilt immer der Grundsatz der Kausalität, sofern der Versicherungsnehmer nicht aus Arglist gehandelt hat. 

Dabei wird arglistiges Verhalten dann unterstellt, wenn der Versicherungsnehmer bewusst und gewollt eine Obliegenheitsverletzung begangen hat. Allerdings ist in der Praxis der Nachweis einer fehlenden Kausalität schwer zu erbringen sein.

Umfang der Leistungsfreiheit bei einer Obliegenheits­verletzung

Inwieweit der Umfang der Leistungsfreiheit bemessen werden kann, hat sich durch eine Reform des Versicherungsvertragsgesetzes geändert. Dabei wurde das vorhergehende „Alles-oder-nichts-Prinzip“, das regelte, dass die Versicherungen bei grober Fahrlässigkeit grundsätzlich nicht zahlen müssen, außer Kraft gesetzt. 

Deshalb gilt heute eine sogenannte Quotenregelung, die besagt, dass die Versicherung die Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis kürzen kann. Dabei ist diese Regelung grundsätzlich günstiger für den Versicherungsnehmer. 

Allerdings ist es im Einzelfall durchaus problematisch in der Praxis, festzulegen, wie diese Kürzung zu ermitteln ist. Ferner ist es mit dieser neuen Rechtslage auch weiterhin möglich, dass ein Versicherer die Leistung komplett verweigern kann.

Wie kann ein Anwalt für Versicherungsrecht bei der Obliegenheits­verletzung helfen?

Obliegenheitsverletzungen sind ein sehr häufiger Streitpunkt zwischen Versicherern und Versicherungsnehmern und werden meist angeführt vom Versicherer, um seiner Leistungspflicht entgehen zu können. 

Dabei sind Versicherungen sehr erfahren im rechtlichen Umgang mit Schadensfällen und deshalb sollte auch ein Versicherungsnehmer einen erfahrenen Anwalt für Versicherungsrecht an Seite haben, wenn es zu rechtlichen Auseinandersetzungen kommt. 

Dabei kann dieser im Einzelfall abklären, ob eine Obliegenheitsverletzung vorliegt, ob diese kausal mit dem Schadensfall zusammenhängt und ob ggf. Obliegenheitsverletzung Vorsatz oder Obliegenheitsverletzung grobe Fahrlässigkeit ausgeschlossen werden kann. 

Ferner wird ein spezialisierter Rechtsanwalt für Versicherungsrecht natürlich auch seinen Mandanten vor Gericht vertreten und eine für ihn optimale Lösung des Versicherungsfalls anstreben. 

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