In einer rezenten Entscheidung des OGH zu 8 Ob 136/22s ging es um die vertragliche Haftung eines Steildachmonteurs, der sogenannte Anschlagpunkte für die Anbindung einer Absturzsicherung bei Dacharbeiten nicht angebracht hatte. Der Hausbesitzer kam bei Arbeiten am Dach (ohne Sicherung) zu Sturz und fiel vom Dach.
Der OGH hielt in dieser derweil noch nicht final entschiedenen Causa Folgendes fest:
Im konkreten Fall handelt es sich um sogenanntes unechtes Handeln auf eigene Gefahr. Der Hausbesitzer hat trotz Fehlens einer Sicherungsmöglichkeit das Dach betreten, wobei jedoch das Unterlassen der Anbringung einer Sicherheitsausstattung durch den Monteur eine vertragliche Pflichtverletzung darstellt und dessen Schadenersatzpflicht weiterhin begründet. Die Sorglosigkeit des Hausbesitzers, selbst ungesichert auf das Dach zu steigen, stellt ein Mitverschulden dar, es kommt jedoch deswegen zu keiner grundsätzlichen Haftungsbefreiung des Monteurs.
Ein echtes Handeln auf eigene Gefahr ist nur gegeben, wenn dem Gefährder keine Schutzpflichten gegenüber demjenigen obliegen, der sich in den Gefahrenbereich begeben hat, sodass mangels Rechtswidrigkeit kein Schadenersatzanspruch besteht (RIS-Justiz RS0023006; RS0023101). Aufgrund der Vertragsbeziehung und dem vertraglichen Schutzzweck liegt im gegenständlichen Fall jedoch kein echtes Handeln auf eigene Gefahr vor. Unter redlichen Vertragsparteien wäre der Vertragsgegenstand jedenfalls die Herstellung eines Steildaches nach dem Stand der Technik und der einschlägigen ÖNorm B 3417 gewesen, daher in jedem Fall die Anbringung entsprechender Absturzsicherungsanschlagpunkte.
Es besteht daher trotz der Tatsache, dass der private Hausbesitzer selbst auf das Dach stieg (und kein geübter Dachdecker) eine Haftung des Steildachmonteurs. Laut OGH ist zudem durchaus davon auszugehen, dass Hausbesitzer bei kleineren Dacharbeiten selbst auf ihr Hausdach steigen, was auch dem Vertragspartner bewusst sein musste.
Wäre daher eine solche Sicherheitsausstattung angebracht worden, wäre im Falle eines ungesicherten Dachaufstiegs durch den Hausbesitzer dies als echtes Handeln auf eigene Gefahr zu werten, ein Absturz würde diesfalls keine Haftung des Vertragspartners begründen, da sodann ja auch keinerlei Vertrags- oder Schutznormverletzung vorliegen würde.
In weiterer Folge wird es in diesem laufenden Verfahren um die Frage gehen, ob der Unfall bei Verwendung eines Kletterseiles (mitsamt Halterungen am Steildach) vermeidbar gewesen wäre, wovon wohl auszugehen ist, zumal der konkrete Kläger zusätzlich Kletterkenntnisse behauptet.
Sofern keine gesetzlichen Regelungen die Grenzen des Schadenersatzrechts definieren, ist bei vertraglichen Schadenersatzpflichten laut ständiger Rechtsprechung zu Ermittlung dieser Grenzen vom Schutzzweck eines Vertrages und den darin umfassten Interessen, deren Verletzung schadenersatzpflichtig macht, insbesondere aus dem Sinn und Zweck des Vertrages im Wege der Auslegung auszugehen.
Anstelle der verallgemeinernden schematisierenden Betrachtung (Adäquanztheorie) tritt eine am konkreten Vertragszweck (oder Normzweck) ausgerichtete individualisierende Betrachtung. Einschränkungen können sich nicht nur durch ergänzende Vertragsauslegung, sondern auch vom Vertragstypus her ergeben. Maßgeblich ist, welche Interessen des anderen Teils in den vertraglichen Schutzbereich fallen sollen; die wirtschaftliche Zielsetzung kann dabei eine Beschränkung der Haftung ergeben.
Bei Vertragsverletzungen kommt der Schutzzwecklehre vor allem Bedeutung für die Begrenzung der Folgeschäden eines vertragswidrigen Verhaltens zu. Aus dem Vertragszweck kann sich ergeben, dass bestimmte Risiken dem einen oder anderen Teil zur Last fallen sollen. Für die Reichweite der Verantwortlichkeit kann auch die Entgeltlichkeit beziehungsweise deren Ausmaß von Bedeutung sein. Nach diesen Kriterien ist insbesondere zu beurteilen, inwieweit der vertragsbrüchige Schuldner auch Schäden ersetzen muss, die der Gläubiger erleidet, dass er seinerseits mit Dritten abgeschlossene Verträge infolge des Verhaltens des Schuldners nicht erfüllen kann.
Rechtstipp: Um eine einzelfallbezogene, ungünstige Auslegung des Vertragszwecks im Streitfall zu vermeiden, empfiehlt es sich bereits im Vertrag – insbesondere in Verträgen eigener Art sowie „Mischverträgen“ aus mehreren Vertragstypen – den konkreten Vertragszweck und die Grenzen der Haftung für (Folge-)Schäden klar zu definieren.
Es ist daher gerade im b2b-Bereich dringend anzuraten, derartige vertragliche Klarstellungen vorab vorzunehmen, um im Schadensfall auch eine zügige und unkomplizierte Schadensregulierung zur Verfügung zu haben, anstelle einer plötzlichen Streitfrage, welche den Leistungsaustausch lahmlegt und eine ansonsten funktionierende Geschäftsbeziehung auf einmal torpediert und für die Zukunft vernichtet.
Für den Privatbereich kann der vorgenannte Fall die Erkenntnis bringen, dass unabhängig vom eigenen Ungeschick dem Grunde nach dennoch sehr wohl eine Haftung des Vertragspartners bestehen kann, mag auch ein eigenes Verschulden am Schadensfall nicht von der Hand zu weisen sein.
Im ersten Schock wird man „fehlende Anschlagpunkte“ kaum als „rechtliche Anhaltspunkte“ für eine – wie obig dargelegt – dennoch gegebene Haftung des Vertragspartners auffinden, daher ist gerade bei Privatunfällen und/oder (Folge-)Schäden auf der eigenen Baustelle die Einholung einer anwaltlichen Meinung dringend zu empfehlen, um keine versteckte Vertragsverletzung eines Werkunternehmers oder Lieferanten zu übersehen, welche eine Leistung erbracht haben, die gerade nicht dem Stand der Technik oder geltenden Normen entsprach.