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Pflegevermächtnis – Überblick und aktuelle Judikatur

Experte Mag. David Stockhammer 1010 Wien

Die gesetzlichen Bestimmungen zum Pflegevermächtnis befinden sich seit der ErbRÄG 2015 in den Paragrafen 677 ABGB und 678 ABGB und sind mit 1.1.2017 in Kraft getreten.

Das Pflegevermächtnis ist ein gesetzliches Vermächtnis, steht also unabhängig von einer letztwilligen Verfügung zu. Es handelt sich um ein Geldvermächtnis auf Abgeltung von Pflegeleistungen, die der Vermächtnisnehmer dem Verstorbenen zu Lebzeiten erbracht hat.[1]

Das Pflegevermächtnis setzt voraus, dass eine dem Verstorbenen nahestehende Person oder mehrere Personen aus dieser Gruppe diesen in den letzten 3 Jahren vor seinem Tod mindestens 6 Monate in nicht bloß geringfügigem Ausmaß gepflegt hat bzw haben.[2]

Nahestehende Person

Wer zu den nahestehenden Personen zählt, normiert § 677 Abs 3 ABGB. Demnach kommen Personen aus dem Kreis der gesetzlichen Erben in Frage, aber auch deren Ehegatten, eingetragenen Partner oder Lebensgefährten und deren Kinder. Daneben kann auch der Lebensgefährte des Verstorbenen und dessen Kinder anspruchsberechtigt sein. Bei den gesetzlichen Erben muss nur eine abstrakte Erbenstellung erfüllt sein, sprich die Person muss nicht tatsächlich erben.[3][4]

Pflege

Für einen Vermächtnisanspruch muss der potenziell Berechtigte, den pflegebedürftigen Verstorbenen in den letzten 3 Jahren vor dem Tod mindestens 6 Monate lang in nicht bloß geringfügigem Ausmaß gepflegt haben. Aus den Erläuterungen zum Gesetz lässt sich entnehmen, dass die Grenze der Geringfügigkeit bei 20 Stunden pro Monat liegt.[5] Ob die 6 Monate an einem Stück oder insgesamt vorliegen müssen, wird in der Literatur unterschiedlich beantwortet. Strittig, aber von der herrschenden Meinung wohl zustimmend beantwortet wird die Frage, ob die Pflegeleistung persönlich erbracht werden muss.[6][7]

Keine Zuwendung sowie vereinbartes Entgelt

Kein Anspruch besteht dann, wenn ein Entgelt vereinbart wurde oder die Pflege durch andere Zuwendungen abgegolten wurde. Jedoch behält der Pflegende einen Differenzenanspruch, falls das Entgelt oder die Zuwendung die Vermächtnishöhe nicht erreicht.[8]

Höhe

Die Höhe des Vermächtnisses richtet sich nach dem Nutzen des Verstorbenen (insb. den ersparten Aufwendungen) ohne Rücksicht auf den Wert der Verlassenschaft.[9]

Entziehung

Das Pflegevermächtnis kann nur bei Vorliegen von Enterbungsgründen entzogen werden. Darüber hinaus ist eine Anrechnung auf den Pflichtteilsanspruch des Pflegenden unmöglich.[10]

Verhältnis zum Bereicherungsrecht

Alternativ zum Vermächtnis kann der Pflegende weiterhin Bereicherungsansprüche analog § 1435 ABGB geltend machen (zB 2 Ob 2/16g; 6 Ob 149/14a).[11]

Judiaktur

Der OGH fasste selbst die wichtigsten Ergebnisse zusammen:

24.06.2021 2Ob54/21m

1.   Eine „Zuwendung“ iSd § 677 Abs 1 ABGB liegt nur dann vor, wenn ein Kausalzusammenhang zwischen der gewährten Zuwendung und der Erbringung von Pflegeleistungen besteht.

2.   Die Höhe des Pflegevermächtnisses ist einerseits durch das Ausmaß der objektiv erforderlichen Pflege (konkrete Pflegebedürftigkeit des Erblassers) und andererseits durch das Ausmaß der tatsächlich von der nahe stehenden Person erbrachten Pflegeleistungen begrenzt.

24.06.2021 2Ob63/21k

1.   Wenn eine Gegenleistung für die erbrachte oder zu erbringende Pflege vereinbart bzw gewährt wurde, diese aber nicht die nach § 678 Abs 1 ABGB auszumittelnde Höhe des Pflegevermächtnisses erreicht, steht das Pflegevermächtnis in Höhe des Differenzbetrags zu.

2.   Die Höhe des Pflegevermächtnisses hängt von Art, Dauer und Umfang der Pflegeleistungen und damit stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Entscheidend ist in Anlehnung an § 1152 ABGB, wie hoch der angemessene Lohn des Pflegenden gewesen wäre.

[1] Kolmasch in Schwimann/Neumayr (Hrsg), ABGB Taschenkommentar 5 (2020) zu § 677 ABGB Rz 2
[2] Apathy/Neumayr in Koziol/Bydlinski/Bollenberger (Hrsg), Kurzkommentar zum ABGB 6 (2020) zu §§ 677–678 ABGB Rz 2
[3] Apathy/Neumayr zu §§ 677–678 ABGB Rz 2
[4] Kolmasch zu § 677 ABGB Rz 3
[5] ErlRV 688 BlgNR 25. GP 17
[6] Apathy/Neumayr zu §§ 677–678 ABGB Rz 3
[7] Kolmasch zu § 677 ABGB Rz 4
[8] Kolmasch zu § 677 ABGB Rz 5
[9] Kolmasch zu § 677 ABGB Rz 6
[10] Kolmasch zu § 677 ABGB Rz 7
[11] Kolmasch zu § 677 ABGB Rz 2

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