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Kein Testament vorhanden - wer erbt jetzt? – Interview mit Rechtsanwältin Mag. Anne Kessler, Expertin im Erbrecht

Rechtsstatue

Die gesetzliche Erbfolge tritt unter anderem dann ein, wenn kein Testament bzw. keine letztwillige Verfügung errichtet wurde. In diesem Fall erben nacheinander sogenannte Linien – in Österreich als Parentelensystem bezeichnet. Die folgende Linie kommt hierbei erst zum Zug, wenn in der vorhergehenden Linie keine Erben mehr vorhanden sind. Welche Personen als gesetzliche Erben in Frage kommen, welche von der gesetzlichen Erbfolge grundsätzlich ausgenommen sind und worauf bezüglich der gesetzlichen Erbfolge besonders zu achten ist, beantwortet Ihnen Mag. Anne Kessler, Rechtsanwältin und Expertin im Erbrecht. 

anwaltfinden.at: Frau Mag. Kessler, möchten Sie sich unseren Usern kurz vorstellen?

Ich bin seit dem Jahr 2018 als selbständige Rechtsanwältin in Graz tätig, wobei meine Schwerpunkte im Bereich des Familien-, Erb-, Straf- und Vertragsrechtes liegen.

Ich arbeite in Regiegemeinschaft mit meinem Partner Mag. Bernhard Lehofer, wodurch wir unseren Klienten eine umfassende Vertretung in allen wesentlichen Rechtsgebieten anbieten können.

Wichtig ist es mir, dass meine Klienten ausschließlich von mir persönlich betreut werden. Dies ist der wesentliche Vorteil für den Klienten im Gegensatz zur Beauftragung einer sogenannten Großkanzlei.

anwaltfinden.at: Sie sind unter anderem Rechtsanwältin im Erbrecht – woher stammt Ihr Interesse für dieses Rechtsgebiet?

Das Erbrecht ist, wie bereits gesagt, nicht das einzige Fachgebiet, in dem ich tätig bin. Ich denke, es ist besonders wichtig, eine verlässliche und auch vorausschauende Beratung in jeder Lebenslage anbieten zu können.

Das Erbrecht ist hierbei natürlich ein ganz zentrales Gebiet, weil die rechtzeitige Befassung mit diesem Thema Konflikte und Auseinandersetzungen innerhalb der Familie von vornherein vermeiden kann. Es ist vor allem wichtig, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen, um innerhalb der Familie die bestmögliche Lösung zu finden und dadurch mögliche Streitigkeiten nach dem eigenen Ableben zu vermeiden.

anwaltfinden.at: Kommt es denn tatsächlich häufiger vor, dass in diesem Zusammenhang Streitigkeiten auftreten?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es beim Thema „Erben“ auch „in den besten Familien“ zu erbitterten Streitigkeiten und verhärteten Fronten kommen kann.

Nicht selten wird der sogenannte letzte Wille zwar innerhalb der Familie geäußert, kann aber dann mangels formgültig errichteter letztwilliger Verfügung nicht umgesetzt werden.

Häufig kommen Menschen zu mir, die bereits eine fixe Vorstellung davon haben, wie sie ihre Ersparnisse beziehungsweise ihr Vermögen verteilen möchten, wobei diese Vorstellungen nicht immer mit den gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten vereinbar sind. Die Kinder haben als sogenannte Pflichtteilsberechtigte etwa bis auf wenige Ausnahmemöglichkeiten immer einen auch der Höhe nach bestimmten Anteil zu bekommen. Meine Aufgabe besteht dann darin, den jeweiligen Willen mit dem Klienten gemeinsam derart zu formulieren, dass dieser auch innerhalb des gesetzlichen Rahmens liegt. Auch wenn sohin keine Differenzen innerhalb der Familie absehbar sind, ist eine Beratung jedenfalls sinnvoll.

anwaltfinden.at: Was passiert, wenn der Erblasser kein Testament hinterlässt?

Wenn eine Person verstirbt, ohne zuvor ein Testament oder eine letztwillige Verfügung errichtet zu haben, sieht das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch eine bestimmte Erbfolge vor. Das bedeutet, das österreichische Recht gibt ein striktes System vor, wer in einem solchen Fall welchen Anteil eines Nachlasses zu bekommen hat.

Dieses sogenannte Parentelensystem sieht vor, dass auf der einen Seite in erster Linie die Nachkommen des Verstorbenen – das sind die Kinder und in weiterer Folge die Enkelkinder – und auf der anderen Seite auch der Ehegatte, seit kurzem auch der eingetragene Partner, erbt.

Das bedeutet, die nächsten Nachkommen – also die Kinder des Verstorbenen – sind als erstes an der Reihe. Nur wenn keine Kinder vorhanden sind, erben in weiterer Folge, in einer zweiten Linie, die Eltern des Verstorbenen und deren Nachkommen, wenn die Eltern vorverstorben sind. Sollte auch in dieser Linie, also in jener der Eltern und deren Nachkommen (= Geschwister des Verstorbenen), niemand mehr vorhanden sein, kommt die Linie der Großeltern zum Zug.

Neben diesem Parentelensystem besteht unabhängig davon das Erbrecht des Ehegatten bzw. des eingetragenen Partners. Das Erbrecht des eingetragenen Partners ist seit dem letzten Erbrechtsänderungsgesetz im Jänner 2017 in Kraft und somit auf alle Erbfälle ab dem 1. Jänner 2017 anzuwenden. Erst seit diesem Zeitpunkt ist der eingetragene Partner dem Ehegatten gleichgestellt.

anwaltfinden.at: Gibt es darüber hinaus Fälle, in denen die gesetzliche Erbfolge eintritt?

Es kommt nicht selten vor, dass jemand eine letztwillige Verfügung errichtet hat, mit welcher jedoch nicht über das gesamte vorhandene Vermögen verfügt wurde. Man kann zum Beispiel verfügen, wer den Schmuck erhalten soll, ohne weitere Vermögenswerte zu erwähnen. Ist dies der Fall, würde für das restliche Nachlassvermögen wiederum die gesetzliche Erbfolge zum Zug kommen.

Es kann auch niemand gezwungen werden ein Erbe anzunehmen. Sollte ein Erbe daher – aus welchen Gründen auch immer – nicht angenommen werden und das Testament sieht keine Ersatzerbschaft vor, kommt subsidiär ebenfalls die gesetzliche Erbfolge zum Zug.

Eine Ersatzerbschaft bedeutet, dass eine bestimmte Person als Erbe einsetzt wird und für den Fall, dass diese Person nicht erben kann oder nicht erben will, eine weitere Person als sogenannter Ersatzerbe genannt wird.

anwaltfinden.at: Gibt es Personen, die von der gesetzlichen Erbfolge grundsätzlich ausgenommen sind?

Das Erbrecht regelt sogenannte Erbunwürdigkeitsgründe bzw. Enterbungsgründe. Jene Gründe, weshalb jemand, der normalerweise als gesetzlicher Erbe oder auch Pflichtteilsberechtigter zum Zug kommen würde, erbunwürdig ist bzw. enterbt wird, sind sehr eingeschränkt.

Eine Erbunwürdigkeit ist äußerst selten, zum Beispiel wenn derjenige, der erben würde, eine Straftat gegenüber dem Verstorbenen begangen hat. Hiebei muss es sich um eine Straftat handeln, die vorsätzlich – also mit Absicht – begangen wurde und mit einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr bedroht ist. Es handelt sich also nicht um kleinere Lappalien, sondern um schwerwiegende Taten.

Eine Erbunwürdigkeit ist ebenso vorgesehen, wenn jemand versucht, den letzten Willen des Verstorbenen zu vereiteln oder zu verschleiern. Sollte in einem Verlassenschaftsverfahren zu Tage kommen, dass jemand zum Beispiel ein Testament oder Sparbuch verschwinden hat lassen, liegt ebenfalls eine Erbunwürdigkeit vor. Auch in Fällen, in denen jemand den Verstorbenen mit List oder Zwang dazu gebracht hat, ein Testament mit einem bestimmten Inhalt zu errichten.

Unabhängig davon gibt es noch relative Enterbungsgründe, die vom Erblasser jedoch ausdrücklich in einem Testament festgehalten werden müssen. In diesem Fall sieht das Gesetz auch nur wenige Gründe vor, so zum Beispiel, wenn jemand innerhalb des Familienverhältnisses grobe Pflichtverletzungen zu verantworten hat, zum Beispiel dem Erblasser ein schweres seelisches Leid zugefügt hat – das sind seltene Fälle. Es muss sich jedenfalls um grobe, schwerwiegende Verletzungen handeln.

 

anwaltfinden.at: Wie muss man grundsätzlich vorgehen, wenn man sein Erbe nicht annehmen möchte?

Sobald ein Mensch in Österreich verstorben ist, wird automatisch ein Verlassenschaftsverfahren eingeleitet, das im Auftrag des Gerichtes von einem Notar geführt wird. Der Notar wird abhängig vom Todesort und Todeszeitpunk bestimmt.

Der Notar, der als Gerichtskommissär handelt, prüft zunächst, ob ein Testament vorhanden ist und ob der Verstorbene Angehörige hinterlassen hat. Danach kontaktiert er die möglichen Erben. Das heißt, das Verlassenschaftsverfahren wird nicht vor Gericht ausgetragen, sondern vor einem Notar, dessen Aufgabe es ist nach Möglichkeit ein Einvernehmen unter den Erben herzustellen. Sollte man als vermeintlicher Erbe zum Notar geladen werden, klärt dieser natürlich auch über alle Rechte auf. Man hat die Möglichkeit die Erbschaft dann vor dem Notar auszuschlagen, das heißt das Erbe nicht anzutreten. Dies wird vom Notar in einem Protokoll vermerkt.

 

anwaltfinden.at: Welche Regelung gibt es für Kinder, deren Eltern nicht verheiratet sind?

Kinder, deren Eltern nicht verheiratet sind, sind Kindern, deren Eltern verheiratet sind, gleichgestellt. In Österreich ist das erst seit dem Jahr 1991 der Fall. Das heißt, bis zum Jahr 1991 hatten uneheliche Kinder kein Erbrecht.

Ein Unterschied ist bei der gesetzlichen Erbfolge allerdings dadurch gegeben, dass neben den Kindern der überlebende unverheiratete Elternteil keine Erbquote erhält.

 

anwaltfinden.at: Haben Lebensgefährten Erbansprüche?

Lebensgefährten hatten bis vor kurzem erbrechtlich überhaupt keine Ansprüche. Die letzte Erbrechtsnovelle, die seit 1.1. 2017 in Kraft ist, hat zumindest eingeschränkte Rechte des Lebensgefährten vorgesehen. Ein direktes gesetzliches Erbrecht gibt es jedoch nach wie vor nicht.

Nunmehr ist allerdings vorgesehen, dass, für den Fall, dass keine anderen gesetzlichen Erben vorhanden sind, der Lebensgefährte erben soll, bevor die Erbschaft an den Staat heimfällt. Sollte nämlich jemand versterben, der überhaupt keine gesetzlichen Erben hat – wo es also auch keine Nachkommen der Großeltern mehr gibt – würde das Vermögen an den Staat fallen. Der Gesetzgeber hat für einen solchen Fall richtigerweise erkannt, dass der Lebensgefährte dem Verstorbenen wohl nähersteht als der Staat und daher das Erbe erhält.

Nicht jeder „Lebensgefährte“ ist jedoch ein solcher im erbrechtlichen Sinn. Der Gesetzgeber hat den Lebensgefährten im erbrechtlichen Sinn dadurch definiert, dass er beziehungsweise sie seit mindestens drei Jahren mit dem Verstorbenen im selben Haushalt gelebt haben muss. Sollte die Beziehung zum Todeszeitpunkt daher kürzer gewesen sein, gilt man nicht als Lebensgefährte.

Eine weitere Absicherung des Lebensgefährten besteht in Form eines sogenannten gesetzlichen Vermächtnisses, ähnlich jenem des Ehegatten. Das heißt, ein Lebensgefährte darf nach dem Tod des Lebensgefährten, wenn es einen gemeinsamen Haushalt gegeben hat, zumindest ein Jahr noch in der Wohnung bleiben. Für den Ehegatten ist dieses Vermächtnis nicht befristet.

Das Erbrecht ist eine der wenigen Materien, in denen der Lebensgefährte gegenüber dem Ehegatten immer noch benachteiligt ist und gesetzlich mit den wenigen eben angeführten Ausnahmen als Fremder zum Verstorbenen angesehen wird.

Besonders in Familienkonstellationen ohne Trauschein ist es daher wichtig, dass man sich mit dem Thema der Nachlassplanung schon zu Lebzeiten auseinandersetzt.

anwaltfinden.at: Haben Angehörige auch ohne testamentarische Verfügung Anspruch auf ein Pflegevermächtnis?

Das ist ebenfalls eine Neuerung, die erst seit der letzten Novelle gesetzlich verankert wurde. Der Gesetzgeber hat für Fälle, in denen sich nahe Angehörige um den Verstorbenen gekümmert haben, ohne dafür irgendeine Abgeltung erhalten zu haben, das gesetzliche Pflegevermächtnis eingeführt, um diese finanziell entsprechend zu berücksichtigen. Berücksichtigt wird nur jemand, der in einem persönlichen Nahverhältnis zum Verstorbenen gestanden ist. Es muss sich zwar nicht um den Ehegatten oder das Kind handeln, aber ein gewisses Nahverhältnis zum Verstorbenen muss vorhanden sein, um etwa professionelle Pflegekräfte hinauszunehmen.

Sollte jemand einen Verstorbenen in den letzten drei Jahren vor seinem Tod mindestens für die Dauer von sechs Monaten nicht bloß geringfügig gepflegt und sich um diesen gekümmert haben, dann sollen diese Leistungen entsprechend abgegolten werden. Gekümmert heißt in diesem Fall nicht zwingend, dass man pflegerische Leistungen im gesundheitlichen bzw. medizinischen Bereich erbracht haben muss, sondern alle Dienste, die in dem Fall notwendig waren. Sollten diese Leistungen ein Ausmaß angenommen haben, das zumindest durchschnittlich mehr als 20 Stunden im Monat, über eine Dauer von zumindest sechs Monaten, betragen hat, dann ist diese Leistung im Verlassenschaftsverfahren abzugelten. Diese Regelung erfolgt mithilfe des zuständigen Notars, der nach Möglichkeit darauf hinzuwirken hat, dass sie im Einvernehmen zwischen den Erben erfolgt und besteht wie gesagt, unabhängig von einem Testament. Wenn ein Einvernehmen nicht möglich ist, kann ich als Pflegender meine Ansprüche natürlich gerichtlich geltend machen und durchsetzen.

anwaltfinden.at: Worauf sollte man Ihrer Meinung nach grundsätzlich bei der Nachlassplanung achten und wie können Sie, als Anwältin im Erbrecht, Mandanten bei ihrer Nachlassplanung unterstützen?

Ich bin der Meinung, dass es in jedem Bereich unseres Lebens gut und wichtig ist, eine Grundbasis an Informationen zu haben, um zu wissen was alles möglich ist. Meine Aufgabe besteht darin, genau diese Möglichkeiten aufzuzeigen und wenn jemand mit einer bestimmten Vorstellung zu mir kommt, diese in eine formal richtige Form zu gießen.

Der Tod ist glaube ich in unserer Gesellschaft nach wie vor etwas tabuisiert und ein Thema, über das in der westlichen Welt nicht gerne gesprochen wird. Ich fände es jedoch wichtig, wenn dieses Thema – wie gebe ich mein Vermögen weiter und wie soll es nach meinem Tod weitergehen – bereits zu Lebzeiten verstärkt und ohne Scheu angesprochen wird. Nicht nur, indem man einen Rechtsanwalt aufsucht und ein Testament errichtet, um es dadurch für sich persönlich zu regeln, sondern indem man dieses Thema allgemein in der Familie bespricht, die sich dementsprechend darauf einstellen kann.

Ganz wichtig ist außerdem, was ich vorhin bereits angesprochen habe, der große Bereich der heutigen Lebensformen, die in den seltensten Fällen aus Mutter-Vater-Kind-verheiratet bestehen, sondern aus vielen anderen Konstellationen, wie Patchwork-Familien, unverheiratete Paare mit Kindern oder Kindern aus unterschiedlichen Beziehungen. Genau in solchen Fällen entspricht die gesetzliche Erbfolge oftmals nicht den eigentlichen Wünschen des Verstorbenen. Meiner Meinung nach wird das Thema Nachlassplanung, aufgrund dieser unterschiedlichen Lebensgestaltungen heutzutage, daher immer wichtiger.

Vielen Dank für das Gespräch

 

Vertrauen Sie auf meine langjährige Erfahrung und kontaktieren Sie mich für ein persönliches Erstgespräch – Mag. Anne Kessler

Sie möchten Ihren Nachlass planen und benötigen hierbei rechtliche Hilfe oder haben ein weiteres erbrechtliches Problem? Rechtsanwältin Mag. Anne Kessler steht Ihnen jederzeit verlässlich zur Seite und klärt Sie in einem Beratungsgespräch umfassend auf. Auch in Anliegen des Familien- und Strafrechts unterstützt Sie Mag. Anne Kessler gerne. Weitere Informationen sowie Kontaktdaten finden Sie auf dem Profil von Rechtsanwältin Mag. Anne Kessler auf anwaltfinden.at.

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