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Sind Wohnungsgebrauchs- und Fruchtgenussrechte bei der Berechnung des Pflichtteils zu berücksichtigen? - Experteninterview mit Rechtsanwalt Dr. Stephan Briem

Kanzlei Dr. Stephan Briem

Das Pflichtteilsrecht ist bei der Planung der Vermögensnachfolge zu Lebzeiten bereits von erheblicher Relevanz. Eine wichtige Rolle spielen hierbei besonders Schenkungen von Liegenschaften zu Lebzeiten, auf denen oftmals Wohnungsgebrauchs- und/oder Fruchtgenussrechte für den Erblasser oder Dritte eingeräumt worden sind. Wie jene Nutzungsrechte im Pflichtteil berücksichtigt werden und welche sich allenfalls wertmindernd auf den Pflichtteil auswirken können, erfahren Sie im folgenden Experteninterview von Rechtsanwalt Dr. Stephan Briem, Experte für Erbrecht in Wien.  

anwaltfinden.at: Herr Dr. Briem, können Sie sich und Ihren beruflichen Werdegang kurz vorstellen?  

Ich habe in Salzburg und Innsbruck studiert und anschließend in Wien zum Thema internationales Kennzeichenrecht dissertiert. In Folge war ich dann in einer Wahrnehmungsgesellschaft für Urheberrechte tätig und seit dem Jahr 2009 bin ich selbständiger Rechtsanwalt in Wien mit den Schwerpunkten Erbrecht, Unternehmensrecht und Immobilienrecht. 

anwaltfinden.at: Heute geht es vorwiegend um den Pflichtteil. Wieso können sich Schenkungen zu Lebzeiten auf diesen auswirken?

Nach dem Erbrechtsänderungsgesetz 2015 – welches anwendbar ist, wenn eine Person nach dem 31.12.2016 verstirbt – sind sämtliche Schenkungen zu Lebzeiten bei der Berechnung des Pflichtteils zu berücksichtigen. Es gibt keine zeitliche Grenze und es werden sämtliche Schenkungen, die der Verstorbene zu Lebzeiten gemacht hat, angesehen und berücksichtigt.

anwaltfinden.at: Mit dem Erbrechtsänderungsgesetz 2015 wurde der Bewertungszeitpunkt von anrechnungspflichtigen Schenkungen geändert. Hat das Auswirkungen auf den Pflichtteil bzw. auf die Berücksichtigung von vorbehaltenen Dienstbarkeiten?

Ja, durchaus! Die anzurechnenden Schenkungen sind mit dem Wert zum Zeitpunkt der tatsächlich erfolgten Schenkung anzusetzen. Was versteht man unter einer tatsächlich erfolgten Schenkung? Das ist jener Zeitpunkt, an dem der Schenkungsvertrag unterzeichnet und die geschenkte Liegenschaft übergeben wird. Der Vorbehalt eines Fruchtgenussrechtes oder eines Wohnungsgebrauchsrechtes hindert die tatsächliche Schenkung nicht. Was die tatsächliche Schenkung hindern würde, wäre beispielsweise ein Widerrufsvorbehalt bei der Schenkung. Dann wäre das Vermögensopfer hierfür nicht gemacht und der Zeitpunkt der tatsächlichen Schenkung wäre erst der Tod des Erblassers.

Die anzurechnenden Schenkungen sind mit dem Wert zum Zeitpunkt der tatsächlich erfolgten Schenkung anzusetzen und daraufhin mit dem Verbraucherpreisindex bis zum Todeszeitpunkt zu valorisieren. Da die Wertsteigerungen bei Liegenschaften in den letzten 15 bis 20 Jahren über dem Verbraucherpreisindex waren, wird somit nur ein Teil der tatsächlichen Wertsteigerung berücksichtigt.  

anwaltfinden.at: Wieso gibt es hierzu oftmals unterschiedliche Meinungen?   

Wenn bei Schenkungen ein Wohnungsgebrauchsrecht oder ein Fruchtgenussrecht für den Schenkenden zurückbehalten wird, dann stellt sich natürlich die Frage, ob ein derartiges Wohnungsgebrauchs- oder Fruchtgenussrecht wertmindernd zu berücksichtigen ist. Diese Frage wurde längere Zeit in der Literatur unterschiedlich gelöst und eindeutige Judikatur gab es hierzu nicht. Kürzlich hat sich jedoch der Oberste Gerichtshof dazu geäußert und die rechtliche Lage klargestellt.  

anwaltfinden.at: Müssen nun vom Erblasser eingeräumte Belastungen, wie etwa ein vorbehaltenes Wohnungsgebrauchs- oder Fruchtgenussrecht, bei der Berechnung des Pflichtteils berücksichtigt werden? Wirkt sich dies wertmindernd auf den Pflichtteil aus?  

Hier ist zu differenzieren. Ein Wohnungsgebrauchs- oder Fruchtgenussrecht für den Schenkenden ist nicht wertmindernd zu berücksichtigen, da dieses mit dem Tod des Schenkenden erlischt. Anders verhält es sich mit einem Wohnungsgebrauchs- oder Fruchtgenussrecht von dritten Personen, die zum Todeszeitpunkt des Erblassers noch leben. Dieses Nutzungsrecht ist nach versicherungsmathematischen Methoden zu bewerten und im Anschluss wertmindernd bei der Bewertung der Liegenschaft zu berücksichtigen.

anwaltfinden.at: Worauf sollten Pflichtteilsberechtigte bei der Pflichtteilsberechnung unbedingt achten, wenn Nutzungsrechte am Vermögen eingeräumt wurden? 

Für Pflichtteilsberechtigte ist es wesentlich zu wissen, ob neben einem allfälligen Wohnungsgebrauchs- oder Fruchtgenussrecht für den Verstorbenen auch noch für Dritte solche Dienstbarkeiten eingeräumt worden sind, weil sich dies allenfalls auf die Bewertung der Liegenschaft auswirkt. Im Zuge der Verlassenschaftsabhandlung gilt es hierzu die erforderlichen Informationen einzuholen.

anwaltfinden.at: Sie sind Rechtsanwalt und Experte im Erbrecht. Wie können Sie Menschen bei der Berechnung des Pflichtteils juristisch behilflich sein? 

Der Pflichtteil ist die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Zunächst sind jene Erbteile zu berechnen, die zur Anwendung kommen, wenn keine testamentarische Erbfolge vorliegen würde. In der Folge ist gemeinsam mit dem Pflichtteilsberechtigten zu recherchieren, ob andere Pflichtteilsberechtigte Schenkungen zu Lebzeiten erhalten haben. Diese sind nämlich zum reinen Nachlass hinzuzurechnen. Von jenem erweiterten Nachlass ist anschließend der Pflichtteil zu berechnen.

Im Verlassenschaftsverfahren kann in einem Erbteilungsübereinkommen auch Einvernehmen über die Höhe des Pflichtteils erzielt werden. Wenn das nicht möglich sein sollte, dann ist innerhalb von vier Jahren nach dem Tod des Erblassers die Pflichtteilsklage beim zuständigen Gericht einzubringen. Wieso vier Jahre und nicht drei? Der Oberste Gerichtshof hat mittlerweile klargestellt, dass die Verjährung des Pflichtteilsanspruches erst ein Jahr nach dem Tod des Erblassers beginnt. Das ist auch der Zeitpunkt, an dem der Pflichtteilsanspruch zur Auszahlung fällig ist.

Ich berate meine Mandanten im Hinblick auf die Höhe des ihnen zustehenden Pflichtteils, begleite sie im Verlassenschaftsverfahren und vertrete sie erforderlichenfalls bei der gerichtlichen Durchsetzung ihrer Pflichtteilsansprüche oder sonstiger erbrechtlicher Ansprüche.

Rechtliche Hilfe rund um das Thema Erbrecht, Pflichtteil, etc. – Rechtsanwalt Dr. Stephan Briem

Sie haben ein persönliches Anliegen in Bezug auf Ihre Vermögensnachfolge und Nachlassplanung und möchten dieses frühzeitig klären, um spätere erbrechtliche Streitigkeiten verhindern zu können? Die Rechtsanwaltskanzlei in 1030 Wien unterstützt Sie gerne mit juristischer Erfahrung & Expertise bei Ihrem Rechtsproblem. Kontaktieren Sie die Kanzlei für ein klärendes Erstgespräch – Rechtsanwalt Dr. Stephan Briem hilft Ihnen gerne zu Ihrem Recht! Mehr Informationen sowie Kontaktdaten finden Sie auf dem Profil von Dr. Stephan Briem auf anwaltfinden.at.   

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